Herbert Roth - Biografie
Der Rennsteig fand seine erstmalige Erwähnung im Jahre 1330. Im Jahr 1951, 621 Jahre später, schrieb ihm ein Thüringer Friseurmeister eine Hommage.
Dieses Lied, das „Rennsteiglied“, gab den Thüringern eine Stimme, den Rennsteigläufern eine Hymne und machte den kleinen Mann mit dem großen Akkordeon zu einer Legende.
Herbert Roth - sein Leben
Kindheit und Jugend
Herbert Roth wird am 14. Dezember 1926 in Suhl geboren, mitten im Thüringer Wald.
Seine Eltern, Emilie und Karl, betreiben in der Suhler Innenstadt einen florierenden Friseursalon. Immer behütet, erlebt der kleine Herbert eine glückliche Kindheit und sein Lebensweg scheint vorgezeichnet: Eines Tages soll er den väterlichen Friseursalon übernehmen.
Doch schon als Kind ist Herbert verliebt in die Musik. Der kindliche Kopf setzt sich durch: Seine Eltern ermöglichen ihm eine solide musikalische Ausbildung. Als Neunjähriger bekommt er den ersten Musikunterricht und sein Lehrer erkennt schön früh Herbert‘s außerordentliche Begabung.
Herbert probt mit kindlicher Freude: Akkordeon, Klavier und Harmonie Unterricht werden das Rüstzeug für seine spätere musikalische Laufbahn.
In seiner Jugend verbringt Herbert Roth jede freie Minute im Suhler Lichtspieltheater „Kristallpalast“. Dort hörte er Melodien, die ihn sein Leben lang beeinflussen werden.
Marika Rökks „Ich brauche keine Millionen“ summt er manchmal stundenlang vor sich hin.
Ein Film-Komponist, dass wär’s, dass möchte er werden. Davon träumt der junge Herbert.
Kriegsjahre und Gefangenschaft
Der 2. Weltkrieg verändert für Herbert Roth alles. Aus dem Friseurlehrling, der von einem Musikstudium träumt, wird ein Soldat. Herbert und sein Freund Karl Müller, genannt „Kaschi“, werden zur Wehrmacht eingezogen. Von nationalsozialistischer Propaganda verblendet und noch nicht einmal 18 Jahre alt, glauben beide an einen „Endsieg“.
Herberts Freund „Kaschi“ entgeht nur knapp dem Tode, er verliert seinen linken Arm. Schwer verwundet liegt Karl Müller im Lazarett in Oberhof, während Herbert in englische Kriegsgefangenschaft gerät.
In Gefangenschaft hat die Musik für Herbert doch etwas Gutes, denn wieder hilft ihm die Musik. Im gebildeten Lagerorchester trifft er auf Kapellmeister Fritz Thon, den späteren Leiter des Tanzorchesters des NDR.
Im Gefangenenlager von Friedland entstehen erste Ideen für einen neuen Lebensentwurf. Der große Traum von einem Künstler im neuen Deutschland. Mit dieser Vision kehrt Herbert Roth 1946 in seine Thüringer Heimat, nach Suhl, zurück.
Edelgard, sein blonder Engel
Zurück in der Heimat stürzt er sich zunächst in die Arbeit im Friseursalon. „Herbert der Friseur“ ist gut als Friseur. Die Kundschaft begibt sich gern in seine schnellen und talentierten Hände. Er macht seinen Meisterbrief und lernt in der
Berufsschule die Liebe seines Lebens kennen: Edelgard…
Herbert Roth besucht seine Edelgard jedes Wochenende in Schleusingen und schreibt ihr regelmäßig kleine Liebesgedichte. So zum Beispiel dieses:
„Wenn wir zwei spazieren, ist die Welt so wunderschön.
Ich möchte nur mit dir allein, fürs ganze Leben glücklich sein!“.
Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen, denn 1948 heiraten die beiden und 1951 ist mit der Geburt von Töchterchen Karin das Familienglück perfekt.
Beflügelt durch die Liebe zu seiner Edelgard bricht Herbert zu neuen Ufern auf. Die Musik soll künftig sein Leben bestimmen. Zunächst alles noch solo, mit Akkordeon und ersten Liedern, getextet von seinem Freund Karl Müller.
Doch Herbert will mehr. Im väterlichen Friseursalon sammelt er nach der Arbeit musikalische Freunde um sich. Proben beginnen, seine Idee: Ein ganzes Ensemble soll entstehen!
Proben im väterlichen Friseursalon
Als sein Vater alles mitbekommt und begreift, dass Herberts Liebe zur Musik wohl doch größer ist und seine Pläne über den Salon weit hinausgehen, gibt er seinem Sohn einen väterlichen Rat:
„Sei wie du willst, aber habe den Mut es ganz zu sein!“
Zu dieser Zeit sagt Herbert Roth resümierend:
„Unsere instrumentale Gruppe ist damals aus einer Hausmusik hervorgegangen. Wir hatten damals im väterlichen Friseursalon geprobt und mein Freund und ständiger Textdichter Karl Müller machte damals den Vorschlag, doch damit mal an die Öffentlichkeit zu gehen.
Unsere ersten Gehversuche wollten wir nicht direkt in unserer Heimatstadt Suhl unternehmen. Also sind auf nach Hirschbach, wo wir am 15. April 1951 zum ersten Mal aufgetreten sind.“
Es wurde ein voller Erfolg!
Seine Tochter Karin erinnert sich:
„Der „Goldene Hirsch“ in Hirschbach, das war ja ein kleiner Dorfsaal. Er war brechend voll mit Menschen und als Zugabe, weil‘s so schön war, wollten die Leute natürlich noch ein Lied haben. Da hat sich Papa getraut, ein Lied mit Text vorzustellen. Und das war damals das Rennsteiglied.“
Das Rennsteiglied, ein Siegeszug beginnt
In Hirschbach noch zaghaft vorgestellt verkörpert das Rennsteiglied bald auch ein Stück Denken und Fühlen in der Nachkriegszeit. Das Recht auf neues Leben.
Das Rennsteiglied geht wie ein Lauffeuer durch Deutschland, in Ost und West.
Erlau, Breitenbach, Friedrichroda mit dem alten Tourbus (Holzvergaser!) geht es auf Tour. Die Säle werden größer und „Herbert Roth und die Suhler Volksmusik“ zu einem echten Renner. Schon 1953 feiert man den 500sten Auftritt.
Herbert Roth und seine "Suhler Volksmusik" erleben diese Zeit wie in einem Rausch. Noch arbeiten sie nebenbei in ihren Berufen: Herbert der Friseur, Waltraut Schulz die Verkäuferin, Willi Kiesewetter der Fleischermeister, Paul Schulz der Mechaniker und Emil Lampert der Werkzeugmacher. Erst im Jahr 1956 machen alle ihr Hobby zum Beruf.
Sie spielen auf Großveranstaltungen, teilweise vor 12 000 Zuschauern. Landauf, landab, vom Thüringer Wald bis an die Ostsee.
Im Jahr 1956 folgt eine Konzertreise ins Ruhrgebiet, danach gibt es sogar eine Einladung nach Paris. Trotz aller Strapazen im Tourbetrieb sprüht Herbert Roth vor Ideen. Unablässig schreibt er neue Lieder, bei einer Übernachtung in Stepfershausen einfach mal so die „Oberhofer Höh“.
Anfeindungen der „sozialistischen Oberen“
Auf seinem ersten Höhepunkt, mitten im glücklichsten Künstlerschaffen, nehmen Anfeindungen, Schmähungen und Auftrittsverbote immer mehr zu. Sein Erfolg ist den „Staatsoberen der DDR“ offensichtlich ein Dorn im Auge: ‘Kleines Haus am Wald‘, soll das Volksmusik sein? Klingen so unsere sozialistischen Berge?
Sie versuchen Herbert Roth’s Popularität zu zerstören. Ein Phänomen „Roth“ darf es in einem Arbeiter- und Bauernstaat nicht geben. Er bekommt „Post vom Staat“: „Zu Ihren Kompositionen müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir diese im Bereich der Volksmusik nicht verwenden können, da diese durchweg in Art von Schlagermelodien liegen und keine Verbindung zum echten Volksgut haben!“
Selbst unfassbare Vergleiche zu Komponisten im Dritten Reich werden gezogen und treffen Herbert Roth schwer. Oft sitzt er in dieser Zeit mit seinem Freund „Kaschi“ zusammen. Die Anfeindungen gehen ihm unter die Haut: „Kaschi, Mensch was machen wir bloß?“.
Ein unsäglicher Höhepunkt staatlicher Gängelei fand bei einer Demonstration am 2. Mai 1956 in Weimar statt. Von “Kulturpolitikern“ aufgestachelte Studenten der Musikhochschule demonstrieren vor dem Studio des staatlichen Rundfunks, in dem Herbert zu Tonaufnahmen ist.
Die Demonstration wird gewaltsam aufgelöst, weil die „Kulturpolitiker“ in ihrem Eifer vergessen hatten, die Demonstration bei der Polizei anzumelden. Ein folgenschwerer Eklat, der bis nach Berlin Wellen schlägt.
Herbert Roth, der immer nach Harmonie strebt und dem Gewalt zuwider ist, will aufgeben: „Es hat keinen Zweck, mach ich eben was anderes.“
Doch die Liebe zur Musik ist stärker. Er klammert sich an Menschen die ihn lieben, an seine Familie und Freunde. Diese sprechen ihm den Mut zu weiterzumachen. Und Herbert Roth macht weiter. Wohl auch, weil er sich an die Worte seines Vaters erinnert.
Herbert Roth, Jahre später: „Es war sehr, sehr hart damals. Heute lacht man darüber, aber damals war mir nicht zum Lachen. Ich denke, das würde jedem so gehen.
Ich habe es letzten Endes verkraftet, dank meiner Frau die mir zur Seite stand und auch dank vieler Freunde, die mir viele Briefe schrieben ‚Bleib tapfer, Du schaffst das!‘.
Mein Gegenargument waren dann neue Lieder und ausverkaufte Häuser. Die ‘Kritiker‘ haben also praktisch das komplette Gegenteil erreicht.“
Die Drangsal findet ein endgültiges Ende als Herbert Roth von SED-Chef Walter Ulbricht in seine Winter-Datscha nach Oberhof für ein Privatkonzert eingeladen wird. Walter Ulbrichts Ehefrau Lotte singt textsicher jedes Lied mit, worauf Walter Ulbricht selbst konstatiert „Nu, das gefällt mir aber, ja!? Das können wir machen!“.
Was im Nachgang lustig klingt, der Umgang mit Herbert Roth hinterlässt in der Künstlerseele Narben, mit schweren Folgen.
Herbert Roth erkrankt schwer
Anfang der 60er Jahre wird Herbert Roth schwerkrank, sicher auch aus Gram über das Erlebte. Man entfernt ihm zwei Drittel seines Magens, Konzerte müssen abgesagt werden, an Auftritte ist lange nicht zu denken.
Doch nach und nach rappelt er sich wieder auf und findet Heilung bei seiner Edelgard und mit der Kraft der Natur. Gemeinsam mit seiner Frau geht er auf seine ganz eigene, private Reise. Zu zweit geht es im Winter über 132 Kilometer den Rennsteig entlang, von Spechtsbrunn bis nach Eisenach.
Herbert wird wieder gesund und kehrt zurück zur Musik.
Kometenhafter Aufstieg
Herbert Roth und die Seinen sind jetzt nicht mehr aufzuhalten. Ein kometenhafter, grandioser Aufstieg beginnt, diesmal endgültig. Fast jeden Tag ein Konzert, fast 300-mal in einem Jahr, stets ausverkaufte Häuser. Das alles plus Radio, Fernsehsendungen und Sonderveranstaltungen.
Er gewinnt ständig neue Verehrer und wird immer populärer. Herbert Roth wird Kult: Echt, unverfälscht und ehrlich. Seine Lieder sind einfach, eingängig und schon nach einmaligem Hören kann man mitsingen.
Herbert selbst erklärt seinen Erfolg damals so:
„Es ist mir selbst noch ein Rätsel. Vielleicht liegt es daran, dass ich naturverbunden bin und das, was ich aus der Natur empfange, in meinen Liedern erklingt. Gemeinsam mit meinem Freund Karl Müller habe ich all die Lieder geschrieben: Er den Text, ich die Melodien. Viele reden heute von Volksliedern, aber die Wahrheit ist, Volkslieder kann man nicht von vornherein schreiben. Erst wenn die Menschen Lieder annehmen, dann werden sie zu Volksliedern. Wir haben dieses Glück, ein wahres Glück!“
Herbert und die Seinen
Erfolg hat bekanntlich immer viele Väter.
Nicht nur die einprägsamen Melodien von Herbert Roth, auch die klaren, bildlichen Texte von Karl Müller haben einen großen Beitrag zur Erfolgsgeschichte beigetragen. Über 160 Lieder haben die beiden getextet und komponiert, entsprungen ihrer bedingungslosen Heimatliebe zu Thüringen und besonders auch zu ihrer Heimatstadt Suhl.
Natürlich stand sein ganzes Leben lang eine starke Frau hinter ihm. Seine Edelgard hält ihm den Rücken frei. Sie kümmert sich um alles, wozu Herbert nicht mehr die Zeit hat. Sie ist sein Halt und sie umsorgt ihn liebevoll. Mitten in der Nacht kocht sie ihm eine warme Mahlzeit (Lieblingsgericht Spaghetti mit Tomatensoße), ihm, der tagsüber nie viel essen will.
Für Tochter Karin war der Erfolg ihres Vaters nicht immer schön. Besonders in ihrer Jugend waren die Hänseleien der Klassenkameraden nur schwer zu ertragen. Der eigene Vater wurde als „Wald- und Wiesen Beatle“ oder „Schnulzenkönig“ verspottet, was ihr sehr nahe ging. Umso mehr, weil sie zeitlebens stolz auf ihren Papa ist. Doch diese Hänseleien wegzustecken, für ein Kind nur schwer zu ertragen. Am Ende gewinnt die Liebe zu ihrem Papa gegen alle Sticheleien.
Zahlreiche Musiker gehören über drei Jahrzehnte zu Herbert Roth's Ensemble. Doch nichts prägt den typischen Sound mehr, wie die zauberhafte Stimme von Waltraut Schulz. Ihre Gesangsstimme und ihr unvergleichliches Jodeln geben den Liedern etwas ganz Besonderes.
Waltraut und Herbert lernen sich in der Schule kennen und singen wohl auch im Schulchor zusammen. Später lädt Herberts Mutter, Emilie Roth, die kleine Waltraut zu sich nach Hause ein um gemeinsam Hausmusik zu machen. Es sind wohl die vielen kleinen Begegnungen, die später zu einem Gesangsduo führen.
32 Jahre lang gehört Waltraut zum Ensemble. Die Freude am Musizieren und Wandern wird ihr, genau wie bei Herbert, schon in die Wiege gelegt. Waltraut, das quirlige Suhler Mädel wird zum „kleinen Wirbelwind“ der Truppe.
Über 10 000 Veranstaltungen bestreitet Waltraut Schulz gemeinsam mit Herbert Roth. Ab 1978 sieht man sie nicht mehr so oft auf der Bühne. Sie tritt aus persönlichen Gründen kürzer.
Waltraut Schulz wohnt bis zu ihrem Lebensende 2017 in Suhl.
Ab 1983 tritt dann Tochter Karin gemeinsam mit ihrem Papa auf, ebenfalls mit großem Erfolg.
Dabei schafft es Karin Roth ihre Eigenständigkeit zu erhalten. Sie ist niemals nur die Tochter von Herbert Roth, sie wird selbst zur gefragten Künstlerin.
Am 14. Dezember 2016, genau am 90. Geburtstag ihres Vaters, wird ihr die Ehre zuteil, sich in das Ehrenbuch der Stadt Suhl einzutragen. Diese besondere Auszeichnung erhält sie nicht nur für ihre unermüdliche Aktivität als Bewahrerin des Erbes von Herbert Roth, sondern auch als offenherzige Botschafterin ihrer Heimatstadt Suhl.
Es kommt zu einem bewegenden Abschluss dieser Veranstaltung: Hunderte Suhler sind an diesem Abend vor dem Rathaus zusammengekommen und singen die Lieder von Herbert Roth.
Die letzten Jahre
Ab 1983 geht es Herbert Roth zunehmend schlechter. Dennoch bündelte er alle Energie und schafft mit der Film-Dokumentation „Von der Wartburg bis zur Saale“ sein letztes musikalisches Vermächtnis.
Obwohl die Film-Crew mehrfach anbietet die Aufnahmen zu unterbrechen, um Herbert Roth zu schonen, besteht er darauf weiterzumachen.
Die Abschlussszene auf der Heidecksburg in Rudolstadt wird für alle Beteiligten zu einem tief emotionalen Moment. Herbert Roth besteht darauf das geplante Ende des Films neu zu gestalten. Unter den Tränen des Teams spricht er in der Abschlussszene folgende, in der Nacht zuvor verfasste Zeilen:
Es war so nett in Ihrer Mitte,
doch alles muss einmal vergeh’n.
Wir danken, lassen Sie uns bitte,
auch uns‘res Weges weiterzieh’n.
Dem neuen Tag also entgegen,
wie immer frisch und froh.
Denn überall auf allen Wegen,
da singt und klingt es so.
Vergessen Sie nicht uns‘re Lieder,
wo Lieder sind ist’s schön.
Vielleicht seh’n wir uns recht bald wieder,
bis dahin Glück, auf Wiederseh’n!
Am 17. Oktober 1983 stirbt Herbert Roth im Alter von nur 56 Jahren. Eine Erlösung, aber früh, viel zu früh…
„Das Leben ist eine Reise und wenn das Ziel erreicht ist, dann ist die Reise zu Ende.“
In den Herzen der Menschen wird er immer eines bleiben:
Eine liebenswerte, schöpferische und historische Persönlichkeit. Ein bescheidener, mutiger und charakterfester Mensch. Ein großer deutscher Künstler, ein Thüringer Junge, ein Suhler.
„Sei wie du willst, aber habe den Mut es ganz zu sein!“
Text: Lothar Tarelkin
Überarbeitung: Oliver Doehring, Ingrid Ehrhardt